Kinder und Jugendliche durchlaufen in ihrer Entwicklung viele Phasen. Manche davon sind turbulent, andere fast unmerklich. Doch manchmal nehmen Eltern oder Lehrkräfte Veränderungen wahr, die ihnen Sorgen bereiten: Ein Kind zieht sich plötzlich zurück, wird aggressiv, sagt Sätze wie: „Mein Leben ist sinnlos.“ oder zeigt sonstiges auffälliges Verhalten. Manche Entwicklungen können ein normaler Teil des Erwachsenwerdens sein – sie können aber auch Anzeichen für tieferliegende Probleme sein.
Der Umgang mit diesen Veränderungen ist für Erwachsene oft eine Gratwanderung: Wann handelt es sich um eine harmlose Phase, wann um ein ernstes Warnsignal? Und wie können Eltern unterstützen, ohne zu kontrollieren oder Druck auszuüben?
Die wichtigste Regel: Veränderungen nicht abtun, sondern genau hinschauen. Ein offenes Gespräch kann den entscheidenden Unterschied machen. Statt beschwichtigend mit „Ach, so schlimm wird es schon nicht sein.“ zu reagieren, signalisiert eine Nachfrage wie „Das klingt schwierig. Magst du mir erzählen, was los ist?“ echte Aufmerksamkeit.
Belastungen von außen verstärken Krisen
Viele Kinder und Jugendliche stehen heute mehr unter Druck als die Generation davor. Pandemie-Erfahrungen, Leistungsstress in der Schule, gesellschaftliche Unsicherheiten oder die ständige Flut an Online-Reizen setzen sie spürbar unter Belastung. Studien zeigen: Psychische Probleme bei jungen Menschen haben seit Corona stark zugenommen. Besonders auffällig ist, dass sich depressive Verstimmungen und Ängste häufen und oft lange unentdeckt bleiben, weil sie hinter vermeintlich typischem Teenager-Verhalten verschwinden.
Präsenz statt Kontrolle
Eltern fühlen sich in solchen Situationen oft verunsichert und reagieren dann nicht selten in gegensätzliche Richtungen: Manche ziehen sich zurück, andere setzen auf strenge Kontrolle. Beide Extreme können jedoch dazu führen, dass Kinder sich entfremden oder in den Widerstand gehen.
Der israelische Psychologe Haim Omer entwickelte das Konzept der Neuen Autorität, das auf Präsenz statt Verbot setzt. Eltern bleiben präsent und einfühlsam, ohne Zwang oder Drohung. Das Signal lautet: „Ich bin da, wenn du reden willst“, auch wenn im Moment keine Worte gefunden werden. Dieses Verhalten schafft Vertrauen in unsicheren Zeiten.
Woran Eltern erkennen können, dass mehr dahintersteckt
Nicht jede Laune oder jeder Rückzug ist Grund zur Sorge. Es gibt aber Anzeichen, die ernst genommen werden sollten, besonders wenn sie über Wochen bestehen:
- Anhaltende Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit
- Verlust von Freude und Interesse
- Starker Rückzug aus Freundschaften oder Hobbys
- Auffällige Veränderungen im Schlaf- oder Essverhalten
- Gereiztheit oder plötzliche Aggressivität
- Aussagen über Sinnlosigkeit oder Suizidgedanken
Treten mehrere dieser Punkte gleichzeitig auf, lohnt es sich, genauer hinzusehen und gegebenenfalls fachlichen Rat einzuholen.
Erste Schritte für Eltern im Alltag
- Zuhören statt bewerten
Kinder brauchen das Gefühl, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Ein Gespräch gelingt besser, wenn Eltern nicht sofort Lösungen präsentieren, sondern erst einmal Raum geben. - Kleine Gesten der Nähe
Ein Tee, ein kurzer Besuch im Zimmer oder eine gemeinsame Aktivität signalisieren: „Du bist mir wichtig.“ Auch wenn das Kind ablehnt, kommt die Botschaft meist an. - Strukturen schaffen
Klare Tagesabläufe mit festen Schlaf- und Essenszeiten, regelmäßige Bewegung und gemeinsame Rituale geben Halt. - Auf Familienmuster achten
Manche Belastungen wiederholen sich. Zu wissen, dass es in der Familie z. B. Neigung zu Winterdepression gibt, kann helfen, Symptome besser einzuordnen. - Veränderungen in kleine Schritte zerlegen
Ob Schulwechsel oder Prüfungsangst: Große Herausforderungen wirken weniger bedrohlich, wenn sie gemeinsam in überschaubare Etappen geteilt werden. - Netzwerke nutzen
Eltern müssen nicht alles allein tragen. Lehrkräfte, Verwandte oder der Freundeskreis können wichtige Unterstützer*innen sein. Auch professionelle Hilfe von Ärzt*innen oder Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.
Es gehört zum Erwachsenwerden dazu, dass Kinder sich verändern. Doch wenn sich das Verhalten über längere Zeit stark verschiebt, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Eltern können viel bewirken, wenn sie präsent bleiben, zuhören und Strukturen bieten.
Wichtig ist, nicht aus Angst in Kontrolle zu verfallen, sondern Nähe zu signalisieren. Und: Niemand muss allein damit umgehen. Ein starkes Umfeld und gegebenenfalls professionelle Begleitung entlasten Familien und helfen Kindern, wieder ins Gleichgewicht zu finden. (Autorin: Daniela Schönwald)
Die Sicher-Stark-Initiative zählt bundesweit zu den wichtigsten Anlaufstellen, wenn es um den Schutz und die Stärkung von Kindern geht. Seit fast 30 Jahren engagiert sich ein interdisziplinäres Team aus Pädagog:innen, Psycholog:innen, IT-Expert:innen und ehemaligen Polizeibeamt:innen für die Sicherheit von Kindern. In ganz Deutschland bietet die Initiative praxisnahe Schulungen, Elterntrainings und Webinare an – mit dem Ziel, Kinder frühzeitig zu stärken und ihnen ein sicheres, selbstbestimmtes Leben in analogen wie digitalen Lebenswelten zu ermöglichen.
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